Heinrich der Löwe und Eddelak

(von Jens Martensen 2008)

 

1. Grundlagen

Das Gründungsdatum der ersten Kirche St. Marien / des Kirchspiels Eddelak ist nicht bekannt, weil Primärnachweise hierzu fehlen. Als solche gelten Urkunden aus dem Mittelalter. Ersatzweise können Sekundärmittel befragt werden. Das geschieht im einfachsten Fall durch einen Abgleich von Datierungen aus unterschiedlichsten Dokumenten oder einen Abgleich von Datierungen unabhängiger Ereignisse, wenn diese zweifelsfrei nachgewiesen sind. Diese Methode führt in Eddelak nicht unmittelbar zum Ziel, sondern nur zu einem Zeitraum, zu einem Zeitfenster, innerhalb dessen die Gründung erfolgt sein muss. Das Fenster öffnet sich 1140, als Eddelak (Ethelekeswisch) offiziell mit dem Zehnten, einer Steuer, für das Domkapitel zu Hamburg belegt und dadurch erstmals erwähnt wird. Das Fenster schließt sich 1281, als das Kirchspiel Eddelak einen Vertrag mit der Stadt Hamburg eingeht.

Zu einem genaueren Datum glaubt Neocorus beitragen zu können. Er schreibt 1598: Eddellacke. // Patrona unse leve Fruwe. // Ab Henrico Leone et Mathilda fundert. (Inhalt: St. Marien von Eddelak ist von Heinrich dem Löwen und Mathilde gegründet.)

Dieser Satz hat seitdem mehr Verwirrung gestiftet als Aufklärung gebracht, was zu zeigen ist.

Abb. 1

 

Figürliche Darstellung der ersten Kirche Eddelaks im Zustand von 1733 nach Vieth und nach der Vorlage von Peter Böckel (1559) mit dem hölzernen, 1676 erneuerten spitzen Turm; Kirche und Turm haben die schweren Sturmfluten am Anfang des 18. Jahrhunderts überstanden.

(Ausschnitt: Martensen)

2. Kernpunkte

Neocorus, Pastor in Büsum, teilt nicht mit, aus welcher Quelle seine Aussage stammt. Johnsen (1927) vermutet: Wahrscheinlich fußt er hier auf der ihm durch seinen Eddelaker Kollegen übermittelten örtlichen Überlieferung, denn ein Zeitzeuge, der aus seinem Tagebuch zitiert, kann er schon lange nicht mehr gewesen sein. Was ist das Besondere an diesem Satz, abgesehen von der Zweisprachigkeit? Als Gründer werden zwei Personen genannt, so dass von einer Gemeinschaftsleistung auszugehen ist. Hieraus folgt, dass nach den Lebensdaten beider Personen zu fragen ist. Während Neocorus mehrmals über Heinrich den Löwen berichtet, erwähnt er die (zweite) Gemahlin Mathilde, die englische Königstochter, nur ein einziges Mal, nur in diesem Zusammenhang. (Über Heinrichs erste Gemahlin Clementia von Zähringen berichtet er nirgends.) Eine konkrete Datierung, eine Jahreszahl fehlt, möglicherweise ganz bewusst.

Die Nachwelt hat den Satz von Neocorus nicht nur dankbar übernommen, sondern bis in die jüngste Zeit nach Belieben ergänzt oder gekürzt, oft beides gleichzeitig. Wenn ein Original aber falsch zitiert wird, liegen Folgefehler nicht sehr fern. Als häufigste Fehler gelten

- die Kürzung des Zitats um Mathilde und

- die Ergänzung des Zitats mit einer Datierung.

Nicht als Fehler zu werten ist die Ergänzung, dass die Gründung nur der Sage nach erfolgt sei / sein soll. Diese Ergänzung ist bis zum Beweis des Gegenteils notwendig.
 

3. Mathilde

Heinrich der Löwe wird mit über 60 Jahren älter als viele Menschen des Mittelalters. Da sein Geburtsjahr nur geschätzt werden kann, ist eine genaue Angabe nicht möglich. Diese Datenlücke gibt es bei Mathilde nicht. Sie wird 1156 im heutigen Frankreich als Tochter des englischen Königs Heinrich II. geboren, heiratet Heinrich den Löwen am 1. Februar 1168 in der Kirche zu Minden (Westfalen) und stirbt 1189 noch vor ihm in Braunschweig. Heinrich der Löwe stirbt 1195, ebenfalls in Braunschweig. Damit ist eindeutig ein Zeitfenster von 21 Jahren definiert; es reicht von 1168 bis 1189. Wer Mathilde aus dem Zitat entfernt, hat keine Möglichkeit mehr, dieses Zeitfenster zu erkennen.
 

4. Datierungen

Ein Datierungsversuch wird nicht erst 1733 (von Vieth) unternommen, wie Johnsen meint, sondern schon 1683 vom Nordstrander Pastor Anton Heimreich. Er muss scheitern, weil die Lebensdaten von Mathilde nicht beachtet werden. Stattdessen sucht Heimreich nach Hinweisen allein bei Heinrich dem Löwen. Da dieser im Sommer 1148 einen Feldzug nach Dithmarschen unternimmt, und von ihm nur dieser eine Aufenthalt im Lande bekannt ist, entscheidet sich Heimreich für die Datierung um 1150. Diese Schlussfolgerung ist im Werk von Heimreich nicht ausgesprochen, aber erkennbar. Die Datierung wird erstmals 1837 (parallel von Lübkert und Trede) ohne Begründung verändert auf genau (im Jahre) 1150. Beide Datierungen sind heutzutage noch anzutreffen, siehe Altenburg. Lediglich eine einzige sinnvolle Korrektur ist zu verzeichnen: Der von Johnsen zitierte Haupt schlägt als hervorragender Kenner der vier Dome Heinrichs des Löwen etwa 1180 vor, als sich deren Bau gerade in der Blüte befindet. Im Gegensatz zu allen anderen Autoren berücksichtigt er damit auch Mathilde. Gehör oder Verständnis findet Haupt jedoch nicht, siehe Johnsen.
 

5. Zwischenergebnis

Erst nach der einjährigen Pilgerfahrt Heinrichs nach Jerusalem 1172-73 beginnt der Bau der drei jüngeren Löwendome Braunschweig, Lübeck und Schwerin, die am Anfang vermutlich seine gelegentliche Anwesenheit erfordern. Ab 1178 muss sich der Welfe zunehmend mit seinen Widersachern im Reich auseinander setzen, was ihn zu längeren Abwesenheiten vom Wohnsitz zwingt, und ab 1182 befindet er sich entmachtet zweimal über Jahre im westeuropäischen Exil. Erst anlässlich des Todes von Mathilde 1189 findet er dauerhaft zurück. Aus diesen Zeiten sind keine Aufenthalte Heinrichs des Löwen in Dithmarschen bezeugt, aber auch sehr unwahrscheinlich. Damit steht die Wahrscheinlichkeit einer aktiven Beteiligung von Heinrich dem Löwen an einer Kirchengründung in Eddelak zu welcher Zeit auch immer auf sehr schwachen Beinen. Anders gesagt: Diese Annahmen und Gründe reichen, um eine aktive Rolle auszuschließen.

Andererseits besteht theoretisch die Möglichkeit, dass die Behauptung von Neocorus auf die Namen ohne Gründungszusatz reduziert werden kann. Dann würde die Behauptung lediglich besagen, dass das Kirchspiel zu Lebzeiten des Welfenpaares aus der Taufe gehoben wird. Auch diese Ansicht ist schon versteckt (und gleichzeitig fehlerbehaftet) formuliert worden, siehe Bürgerinformation der KLG Eddelak-St. Michaelisdonn 2003. Hierfür spricht die auffällige Bestimmtheit, mit der Neocorus Mathilde erwähnt. Sie wird nur einmal, nur in diesem einzigen Zusammenhang genannt. Da Neocorus aber bewusst formuliert hat, also eine aktive Rolle der Welfen meint, muss auch diese Möglichkeit verworfen werden.
 

6. Datierungshilfen

Als weitere Datierungshilfen gelten die Bauweise und erhaltenes Inventar. Die in den Nachfolgebau integrierten Alt-Backsteine im sogenannten Klosterformat weisen auf ein grobes Zeitfenster hin, das im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts beginnt und damit das Zeitfenster Mathildes schneidet. Die Gusszeit des urtümlichen Taufbeckens ist nur grob abschätzbar. Sie liegt vermutlich außerhalb des obigen Zeitfensters, zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Damit wäre das Taufbecken kein Teil der Grundausstattung, sondern eine nachträgliche (Ersatz-) Beschaffung. Stilelemente des Beckens wie etwa die rosettartigen, siebenzehigen Tierfüße eignen sich entgegen einer Volksmeinung nicht als Beleg für eine Förderung durch die Welfen, da zierende Pranken im mittelalterlichen Europa weit verbreitet waren. Hieran ändert die Tatsache nichts, dass der Welfe eindrucksvolle Kunstwerke wie den bronzenen Braunschweiger Löwen förderte, der schon vor seiner zweiten Ehe 1066 entstand.
 

7. Ergebnis

Allgemein gilt heute für eine ganze Gruppe Dithmarscher Kirchspiele, der das alte Eddelak zugerechnet wird, die Jahrhundertwende um 1200 als Zeit der Entstehung. Bei genauerer Betrachtung schließt das - im Fall Eddelaks - die Zeitzeugen Heinrich den Löwen und Mathilde nicht grundsätzlich aus; es könnte sogar zutreffen, zumal Eddelak bereits 1140 in der Lage ist, Steuern (an die Kirche zu Hamburg) zu zahlen. Insofern gewinnt eine Schilderung von Neocorus über ein Detail im Braunschweiger Dom, wo er die dortige Grabplatte mit den jugendlichen Figuren Heinrichs und Mathilde in überlebensgroßer Form kaum übersehen haben dürfte, eine besondere Bedeutung. Die Schilderung kann den Eindruck vermitteln, dass Neocorus angesichts der bewunderten Backstein-Bauweise eine plausible Erklärung für die Entstehung der Kirche gesucht haben könnte. Es bleibt allerdings offen, ob die Aussage eine Eigenschöpfung von Neocorus selbst ist, denn er war auf einen Informanten mit Eddelaker Ortskenntnis angewiesen.

In beiden Fällen wäre die Aussage eine reine Annahme, Behauptung, Erfindung, Hoffnung, Vermutung, ein Trugschluss. Sie bringt außer der Hochachtung vor der Leistung Heinrichs des Löwen als Auftraggeber und Förderer der Löwendome immerhin indirekt zum Ausdruck, dass die erste Kirche ganz aus Backstein aufgebaut gewesen sein kann, dem in Ratzeburg, Lübeck und Schwerin bevorzugten Baustoff, wofür sonst kein eindeutiger Nachweis vorliegt.

Abb. 2:

 

Heinrich der Löwe und seine zweite Gemahlin Mathilde von England als jugendliche, überlebensgroße Figuren auf der Grabplatte im Braunschweiger Dom

Die von Heinrich dem Löwen ausgehende Faszination hat Jahrhunderte lang eine vollständige Prüfung der Meldung bei Neocorus behindert. Nun ist es wieder an der Zeit, den untauglichen Datierungen entgegen zu treten. Vertretbar ist jede Version des Zitats, die die Meldung ohne Datum als Sage bezeichnet: Der Sage nach soll die Kirche St. Marien zu Eddelak von Heinrich dem Löwen und seiner Gemahlin Mathilde erbaut worden sein. Besser ist eine zusätzliche Angabe der Quelle Neocorus.

Bewiesen ist nichts. Die Wahrscheinlichkeit ist zudem so gering, dass nur von einem "Anfangsverdacht" gesprochen werden kann. Dieser lässt sich nicht bestätigen. Was bleibt, ist eine wechselhafte Geschichte der Meldung selbst bis in die Gegenwart.

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